Unterwegs #1

Menschen, die unterwegs sind, alleine oder gemeinsam, finde ich interessant. Situationen in öffentlichen Verkehrsmitteln, wo Menschen, die einander weder kennen noch miteinander in Kontakt treten, zusammen ein Stück Weg zurücklegen, faszinieren mich. Das einzig Verbindende zwischen diesen Menschen ist der Wunsch, von Ort A nach Ort B zu gelangen. Aus den unterschiedlichsten BEWEGgründen.

Ich kann nicht erklären, warum, aber ich glaube, festmachen zu können, wann diese Faszination zum ersten Mal auftauchte: es war vor 5 Jahren in der New Yorker U-Bahn. Die Vorstellung, wie viele Schicksale, wie viele Lebensgeschichten aus den verschiedensten persönlichen, sozialen, kulturellen und religiösen Zusammenhängen sich da für eine kurze Zeit und Distanz zusammen finden, um sich gleich darauf wieder zu trennen, ist umwerfend. Seither empfinde ich so wenn ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin (das kommt allerdings nicht ALL zu häufig vor).



Ich mag die Atmosphäre in den Nürnberger U- und Straßenbahnen, in den Lissaboner U-, Straßen- und S-Bahnen, auf der Holperstraße in einem portugiesischen Überlandbus, im Londoner Stadtbus, im Touri-Nostalgie-Zug in den Cevennen. Immer habe ich dieses besondere Gefühl.





Es gibt auch sehr traurige Geschichten über Menschen, die gemeinsam unterwegs waren, wie z. B. Juden im Dritten Reich, die eng zusammengepfercht in Todeszügen nach Auschwitz befördert wurden. Was sie verband, war keinesfalls der Wunsch von Ort A nach Ort B zu kommen. Das Verbindende war schicksalhaft, führte auf die gemeinsame Herkunft zurück und endete meist im gemeinsamen Tod. Daran muss ich in diesem Zusammenhang oft denken.

Kürzlich habe ich meiner Tochter aus dem Alten Testament einen Teil der Geschichte Abrahams vorgelesen - im Ethik-Unterricht beschäftigen sie sich mit den abrahamitischen Religionen - der sich ebenfalls auf den Weg gemacht hatte. Von Ur nach Kanaan. Ich finde die Geschichte sehr schön und abenteuerlich.

Sehr bemerkenswert ist außerdem die Familiengeschichte der Joels, die vor Hitlers Schergen von Nürnberg über Umwege nach New York geflohen sind. Andere Familienmitglieder jedoch wurden in Zügen in das Durchgangslager Izbica gebracht und von dort aus in das Vernichtungslager Sobibor.

Vor nicht allzu langer Zeit machte mich Judith auf einen gewissen August Ebrard aufmerksam, der im Jahr 1877 von seiner Heimatstadt Erlangen startend eine Reise in die Cevennen unternahm, um dort nach seinen Vorfahren zu forschen, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes als Hugenotten aus Frankreich geflohen waren.

Es gibt sicher endlos viele solcher Geschichten, doch diese kommen mir im Augenblick besonders nahe.

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